Heute früh habe ich eine E-Mail bekommen. Ismail*, ein junger Mann aus Afghanistan fragte, ob wir ihm helfen könnten, sein Studium in der Türkei fortzusetzen. Um uns ein paar Hintergrundinformationen zu geben, erwähnte er, dass er gerade aus Griechenland zurückgeschoben worden war. Immer, wenn wir das Wort „Push-Back“ hören, gehen bei uns die Alarmglocken los. Push-Backs sind eine zunehmend verbreitete kriminelle Handlungsweise von Grenzbehörden, die mittlerweile in allen Ländern auf der Balkanroute und am Mittelmeer praktiziert wird. Anstatt Asylbewerbern ihr Recht auf einen Asylantrag zu gewähren, drängen die Grenzbehörden dabei Geflüchtete gewaltsam in das Nachbarland zurück, aus dem sie eingereist sind. Damit verstoßen sie unumstritten gegen das Völkerrecht, insbesondere gegen Artikel 33 der Konvention von 1951 über den Status von Flüchtlingen sowie gegen die Menschenrechtskonvention.
Wir haben viel Erfahrung mit Pushbacks in die Türkei, aber Ismail's Fall ist auch für uns besonders schockierend.
Alarmiert von seinem kurzen Bericht bat ich ihn um weitere Einzelheiten und er erzählte mir Stück für Stück seine ganze Geschichte. Was ich über seine aktuelle Situation in Istanbul erfuhr, bewegte und überraschte mich zutiefst. Als er mich kontaktiert hatte, hatte er davon noch nichts erwähnt. Er hatte Josoor lediglich um Hilfe bei der Suche nach einer Möglichkeit, sein Studium fortzusetzen gebeten - dabei wusste er nicht einmal, wo er bleiben konnte oder was er essen sollte. Ein 22-Jähriger, der nichts mehr hatte, und nur weiter studieren wollte - weil er die Welt verbessern will und überzeugt ist, dass Bildung der richtige Weg ist.
Wir versorgen nicht nur die Opfer von Pushbacks - denen in der Regel alle ihre Habseligkeiten, einschließlich ihrer Dokumente von den Grenzbehörden weggenommen werden - mit Nahrung, Kleidung und Unterkunft. Sondern wir sehen unsere Mission auch darin, Geflüchteten eine Plattform zu bieten, auf der sie Gehör finden können.
Ich habe Frootan’s Nachrichten in diesem Text zusammengefasst, um seine Geschichte in seinen eigenen Worten zu erzählen:
“Ich bin gerade brutal von Griechenland in die Türkei deportiert worden, obwohl ich ein Aufenthaltsdokument (weiße Karte) hatte. Ich lebe jetzt ohne Aufenthaltstitel in der Türkei und habe keine Unterkunft.
Ich möchte einen Aufenthaltstitel beantragen, um legal in der Türkei zu leben und studieren zu können. Könntest du mir dabei helfen?
Ich habe anderthalb Jahre als Asylbewerber in Griechenland gelebt und gearbeitet, ein Jahr lang war ich Dolmetscher in einem Flüchtlingslager.
Ich habe die Schule abgeschlossen. In Afghanistan habe ich auch eine Hochschulausbildung begonnen und dann in einem Master fortgesetzt. Fast zwei Jahre habe ich im Master studiert, aber leider konnte ich mein Studium aufgrund des Konflikts, der Unsicherheit und der Morddrohungen nicht abschließen.
Ich habe auch Computerkurse und Englischkurse absolviert und das B2-Niveau erreicht. Ich habe auch ein Jahr lang an einer öffentlichen Schule Englisch unterrichtet.
Als ich noch in Afghanistan gelebt habe, war ich ständig auf der Suche nach Möglichkeiten zur Weiterbildung. Auch während meines kurzen Aufenthalts in Griechenland habe ich immer danach gestrebt, mich weiter zu bilden.
Ich kann nicht in mein Land zurückkehren, weil mein Leben dort bedroht ist.
Ich musste Afghanistan verlassen wegen der ständigen blutigen Unruhen und der großen Unsicherheit.
Mein Vater starb in einem Selbstmordanschlag, als ich 18 Jahre alt war. Seitdem liegt die Verantwortung für meine Familie auf meinen Schultern. Ich habe freiwillig Englisch für die Menschen vor Ort und für die Kinder der Nachbar*innen unterrichtet.
Die Taliban beschuldigten mich dann deshalb, Menschen zum «Heidentum und Glaubensabfall» angestiftet zu haben.
Ich erhielt viele Drohbriefe, in denen sie mich aufforderten, mich ihnen anzuschließen und gegen die Regierung zu kämpfen. Deshalb hat meine Familie vor mehr als vier Jahren beschlossen, dass ich das Land verlassen musste.
Vom ersten Tag meiner Flucht an bis zu meiner Rückkehr in die Türkei war ich Hunger, Durst, schweren Verletzungen, Gewalt von Schmugglern und Grenzpolizisten ausgesetzt. Ich verlor das Augenlicht in meinem linken Auge an der Grenze zwischen Serbien und Mazedonien, als ich durch schwere Schläge von der serbischen Grenzpolizei im Wald auf einen Ast fiel.
Ich bin bereit, hart zu arbeiten, um Teil einer besseren Welt zu werden, und glaube, dass die beste Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, Bildung ist.
Ich möchte meinen großen Wunsch zum Ausdruck bringen, eine Möglichkeit zu finden, mein Studium fortzusetzen.
Vielen Dank für deine Zeit.
Ich freue mich auf deine Antwort.
Nachdem ich stundenlang mit ihm gesprochen hatte, bekam ich endlich ein klares Bild davon, was mit ihm in den letzten Monaten und Jahren passiert war:
Ich kam im Frühjahr 2018 in Griechenland an. Nach über einem Monat in Haft erhielt ich ein Papier und wurde in ein Lager in der Nähe von Thessaloniki gebracht. Ich lebte dort fast drei Monate in einem Zelt, bevor ich in ein anderes Lager verlegt wurde. Ich fing an, Englisch- und Deutschkurse zu besuchen und meine Dokumente vorzubereiten, um eine Gelegenheit zu finden, mein Studium fortzusetzen und Arbeit zu finden. Bald fand ich einen Job als Dolmetscher für Farsi, Dari und Pashto. Irgendwann hatte ich mein erstes Interview, aber alles dauert extrem lange und ich wollte einfach mein Studium fortsetzen.
Ich habe Griechenland nur wenige Tage vor Ablauf meiner weißen Karte verlassen. Das war ein großer Fehler, den ich seitdem jeden Tag bereut habe. Aber niemand weiß, was die Zukunft bringt. Im Nachhinein ist einfach zu erkennen, was falsch und was richtig war. Ich dachte, ich würde ein Land erreichen, in dem ich studieren und meine Zukunft verändern könnte, aber alles stellte sich auf den Kopf.
Eigentlich hatte ich meine weiße Karte erneuern wollen, aber der Schmuggler überzeugte mich davon, dass ich sie nicht mehr brauchen würde, weil ich sowieso in ein anderes Land gehen würde. Wenn ich gewusst hätte, was passieren würde, wäre ich nie gegangen. Mein Ziel war es nur gewesen, Italien, zu erreichen, um weiter studieren und arbeiten zu können.
Ich habe es bis nach Serbien geschafft, konnte aber nicht weiter kommen. Ich verbrachte dort vier Monate, anderthalb Monate davon in einem Lager. Dann verließ ich das Lager - für die “Games” (“Games”, also “Spiele“, nennen Einheimische und Geflüchtete auf der Balkanroute den Versuch, Grenzen zu überqueren, ohne von der Polizei zurückgeschoben zu werden). Ich habe versucht, nach Rumänien zu gelangen, aber wir wurden verhaftet, geschlagen und sie haben uns alle unsere Sachen weggenommen. Immer wieder, jedes mal schoben sie uns zurück nach Serbien. Irgendwann brachte uns die Polizei in Serbien zurück an die andere Grenze und schob uns dann zurück nach Mazedonien. Das war im März 2020. Einige Tage blieben wir im Wald und versuchten, wieder nach Serbien zurückzukehren. Die serbische Polizei hat uns wiederholt zurückgedrängt und heftig geschlagen.Durch die Schläge habe ich das Augenlicht auf einem meiner Augen verloren. Irgendwann verhaftete uns die mazedonische Polizei und schob uns zurück nach Griechenland. Mit einem Güterzug fuhr ich zurück nach Thessaloniki und versuchte zu dem Lager zurückzukehren, in dem ich ursprünglich gelebt hatte. Ich war fast wieder dort, als mich die griechische Polizei festnahm. Sie sagten uns, wir würden Papiere bekommen. Ich sagte ihnen immer wieder, dass ich schon eine weiße Karte hatte, diese aber verloren habe. Ich wollte ihnen die Fotos der Karte auf meinem Handy zeigen - ich habe Bilder davon- aber sie haben mir mein Handy einfach weggenommen und alles ignoriert, was ich gesagt habe. Sie haben uns brutal geschlagen und alle unsere Sachen weggenommen - Handy, Geld, Schuhe, Taschen, alles.
Dann haben sie uns in die Türkei zurückgeschoben. Wir waren drei Tage und Nächte an der Grenze. Die türkische Polizei zwang uns zwei mal brutal dazu, auf griechisches Territorium zurückzukehren. Der Fahrer des Bootes trug Zivilkleidung, aber es war die türkische Armee, die uns mit Gewalt gezwungen hat, einzusteigen. Auf der griechischen Seite hat sich unsere Gruppe getrennt. Einige hatten vor, nach Thessaloniki zurückzukehren, aber ich und mein Freund suchten die griechische Polizei auf, um ihnen mitzuteilen, dass die Türkei uns nach Griechenland gezwungen hatte und wir nicht wussten, was wir tun sollten. Anstatt uns zu sagen, was wir tun sollten, fingen sie an, uns zu schlagen. Dann brachten sie uns an einen dunklen Ort. Nachts zwangen sie uns wieder auf Boote und schoben uns zurück. Am nächsten Tag wurden wir erneut von der türkischen Polizei festgenommen und gewaltsam auf griechisches Territorium zurückgeschoben. Griechenland und Türkei spielten mit uns, als wären wir Fußbälle. Zwei Mal.
Irgendwann schaffte ich es von der Grenze weg. Ich ging zu Fuß 170 km bis in die türkische Stadt Silivri. Von dort nahm ich ein Taxi, wofür ein Freund von mir bei meiner Ankunft in Istanbul bezahlte. Ich hatte nichts mehr bei mir und schlief zwei Nächte unter einer Brücke, bis ich einen Afghanen traf, der mich für ein paar Tage bei sich aufnahm.
Mein aktueller Gesundheitszustand ist nicht gut. Mein Sehvermögen wird von Tag zu Tag schlechter. Ich kann nachts wegen Albträumen, zu vielen Gedanken, Depressionen und Angstzuständen nicht schlafen. Ich gehe mit der Hoffnung auf ruhigen Schlaf zu Bett, aber es passiert nie. Meine Freunde sagen mir, dass ich nachts im Schlaf mit den Zähnen knirsche und viel schreie. Ich weiß nicht genau, was mit mir passiert. Wenn ich im Bett liege, fallen mir all die schrecklichen Szenen ein, die ich erlebt habe, und dann kann ich nicht schlafen.
Aber auf jeden Fall bin ich Gott dankbar für meine Gesundheit. Andere hatten nicht so viel Glück. Einer meiner engen Freunde starb in Mazedonien vor meinen Augen an einem Stromschlag, als er versuchte, aus einem Zug auszusteigen. Ich habe zugesehen, wie es passiert ist. Er kam mit einem Güterzug, in einem Öltanker versteckt, von Griechenland nach Mazedonien. Er versuchte aus dem Tanker auszusteigen, als sein Kopf das Elektrokabel berührte. Er kam in den Stromkreislauf und fiel zu Boden. Als ich ihn in meine Arme nahm, sah ich, dass sein ganzer Körper von dem Stromschlag verbrannt war. Ich fing an zu weinen, ich war so entmutigt. Ich sagte mir: "Was für ein Leben haben wir?" Drei Tage lag er im Koma und dann wurde seine Seele von den Engeln genommen. Möge seine Seele in Frieden ruhen.
Um ehrlich zu sein, manchmal fühlt es sich so an, als ob das Leben in dieser Welt mich dazu zwingen will, Selbstmord zu verüben. Aber dann sage ich mir: Ich muss mit dem Leid zurecht kommen, denn ohne den Schmerz, mit dem ich kämpfe, wäre ich nicht der, der ich bin.
Ich schwöre, der einzige Grund, warum ich Griechenland verlassen habe, ist, dass ich ein Land erreichen wollte, in dem ich mein Studium fortsetzen kann. Ich war ständig auf der Suche nach Möglichkeiten dazu in Griechenland, aber ich hatte nicht einmal die Chance, die griechische Sprache zu lernen. Ich habe Durst nach Bildung, um mein Studium auf meinem Gebiet fortzusetzen. Wenn ich mein Studium in Afghanistan fortsetzen hätte können, wäre ich nie gegangen.
Würdest du mir bitte versprechen, dass ich nicht von der Türkei nach Afghanistan deportiert werde?
Ich würde lieber sterben, als abgeschoben zu werden.
Ich habe in Google News gelesen, dass die Türkei 25.000 Flüchtlinge abschieben will. Ist das wahr?
Ich bin vom Leben erschöpft. Ich wünschte, ich könnte in mein Land zurückkehren, aber mein Leben ist wegen der Taliban ernsthaft bedroht. Ich hoffe, ich verschwende nicht deine kostbare Zeit.
Ismail ist einer der nettesten Menschen, mit denen ich je gesprochen habe. Seit November hat über 15 Push- Backs erleiden müssen. Trotz all dem Horror, den er durchgemacht hat, bedankt er sich immer wieder höflich bei uns - und möchte sogar Teil unseres Teams werden. Wir haben eine Unterkunft in der Türkei für ihn organisiert und tun unser Bestes, ihn zu stabilisieren, damit er sich von den Anstrengungen erholen kann, die er in den letzten fünf Monaten erleiden musste. Aber dann können wir uns keine bessere Ergänzung für unser Teams vorstellen als ihn!
Ich sehe, jedes eurer Teammitglieder hat eine einzigartige Persönlichkeit. Euer Bedürfnis, etwas zu tun, ist wirklich inspirierend. Etwas rein für die Menschheit zu tun, ist keine Arbeit für jede Persönlichkeit. Heutzutage gibt es nur mehr wenige wahre Menschen.
Ich bin stolz darauf, so freundliche und mitfühlende Menschen wie euch zu kennen. Mir fehlen die Worte dafür, euch für eure Zeit und euer Mitgefühl zu danken. Ich schätze eure Bemühungen und das, was ihr tut, sehr.
Ich wünschte, ich könnte euch für das entschädigen, was ihr für Menschen in Not tut. Ich wünschte, ich wäre auch ein Mitglied eures Teams. Möget Ihr in all euren Aufgaben und Lebensangelegenheiten Erfolg haben. Möge Gott euch alle segnen, ihr werdet immer in meinen Gebeten sein. Und möge Gott allen gnädig sein, die auf der ganzen Welt unter Gewalt leiden.
Ich schwöre, ich verspreche, wenn ich die Gelegenheit bekomme, mein Studium fortzusetzen und einen Job zu bekommen, werde auch ich andere Menschen helfen, wann immer ich kann. Wir müssen uns zusammenschließen, um gegen Gewalt und Grausamkeit und für die Menschenrechte zu kämpfen.
*Name aus Sicherheitsgründen geändert
Heute früh habe ich eine E-Mail bekommen. Ismail*, ein junger Mann aus Afghanistan fragte, ob wir ihm helfen könnten, sein Studium in der Türkei fortzusetzen. Um uns ein paar Hintergrundinformationen zu geben, erwähnte er, dass er gerade aus Griechenland zurückgeschoben worden war. Immer, wenn wir das Wort „Push-Back“ hören, gehen bei uns die Alarmglocken los. Push-Backs sind eine zunehmend verbreitete kriminelle Handlungsweise von Grenzbehörden, die mittlerweile in allen Ländern auf der Balkanroute und am Mittelmeer praktiziert wird. Anstatt Asylbewerbern ihr Recht auf einen Asylantrag zu gewähren, drängen die Grenzbehörden dabei Geflüchtete gewaltsam in das Nachbarland zurück, aus dem sie eingereist sind. Damit verstoßen sie unumstritten gegen das Völkerrecht, insbesondere gegen Artikel 33 der Konvention von 1951 über den Status von Flüchtlingen sowie gegen die Menschenrechtskonvention.
Wir haben viel Erfahrung mit Pushbacks in die Türkei, aber Ismail's Fall ist auch für uns besonders schockierend.
Alarmiert von seinem kurzen Bericht bat ich ihn um weitere Einzelheiten und er erzählte mir Stück für Stück seine ganze Geschichte. Was ich über seine aktuelle Situation in Istanbul erfuhr, bewegte und überraschte mich zutiefst. Als er mich kontaktiert hatte, hatte er davon noch nichts erwähnt. Er hatte Josoor lediglich um Hilfe bei der Suche nach einer Möglichkeit, sein Studium fortzusetzen gebeten - dabei wusste er nicht einmal, wo er bleiben konnte oder was er essen sollte. Ein 22-Jähriger, der nichts mehr hatte, und nur weiter studieren wollte - weil er die Welt verbessern will und überzeugt ist, dass Bildung der richtige Weg ist.
Wir versorgen nicht nur die Opfer von Pushbacks - denen in der Regel alle ihre Habseligkeiten, einschließlich ihrer Dokumente von den Grenzbehörden weggenommen werden - mit Nahrung, Kleidung und Unterkunft. Sondern wir sehen unsere Mission auch darin, Geflüchteten eine Plattform zu bieten, auf der sie Gehör finden können.
Ich habe Frootan’s Nachrichten in diesem Text zusammengefasst, um seine Geschichte in seinen eigenen Worten zu erzählen:
“Ich bin gerade brutal von Griechenland in die Türkei deportiert worden, obwohl ich ein Aufenthaltsdokument (weiße Karte) hatte. Ich lebe jetzt ohne Aufenthaltstitel in der Türkei und habe keine Unterkunft.
Ich möchte einen Aufenthaltstitel beantragen, um legal in der Türkei zu leben und studieren zu können. Könntest du mir dabei helfen?
Ich habe anderthalb Jahre als Asylbewerber in Griechenland gelebt und gearbeitet, ein Jahr lang war ich Dolmetscher in einem Flüchtlingslager.
Ich habe die Schule abgeschlossen. In Afghanistan habe ich auch eine Hochschulausbildung begonnen und dann in einem Master fortgesetzt. Fast zwei Jahre habe ich im Master studiert, aber leider konnte ich mein Studium aufgrund des Konflikts, der Unsicherheit und der Morddrohungen nicht abschließen.
Ich habe auch Computerkurse und Englischkurse absolviert und das B2-Niveau erreicht. Ich habe auch ein Jahr lang an einer öffentlichen Schule Englisch unterrichtet.
Als ich noch in Afghanistan gelebt habe, war ich ständig auf der Suche nach Möglichkeiten zur Weiterbildung. Auch während meines kurzen Aufenthalts in Griechenland habe ich immer danach gestrebt, mich weiter zu bilden.
Ich kann nicht in mein Land zurückkehren, weil mein Leben dort bedroht ist.
Ich musste Afghanistan verlassen wegen der ständigen blutigen Unruhen und der großen Unsicherheit.
Mein Vater starb in einem Selbstmordanschlag, als ich 18 Jahre alt war. Seitdem liegt die Verantwortung für meine Familie auf meinen Schultern. Ich habe freiwillig Englisch für die Menschen vor Ort und für die Kinder der Nachbar*innen unterrichtet.
Die Taliban beschuldigten mich dann deshalb, Menschen zum «Heidentum und Glaubensabfall» angestiftet zu haben.
Ich erhielt viele Drohbriefe, in denen sie mich aufforderten, mich ihnen anzuschließen und gegen die Regierung zu kämpfen. Deshalb hat meine Familie vor mehr als vier Jahren beschlossen, dass ich das Land verlassen musste.
Vom ersten Tag meiner Flucht an bis zu meiner Rückkehr in die Türkei war ich Hunger, Durst, schweren Verletzungen, Gewalt von Schmugglern und Grenzpolizisten ausgesetzt. Ich verlor das Augenlicht in meinem linken Auge an der Grenze zwischen Serbien und Mazedonien, als ich durch schwere Schläge von der serbischen Grenzpolizei im Wald auf einen Ast fiel.
Ich bin bereit, hart zu arbeiten, um Teil einer besseren Welt zu werden, und glaube, dass die beste Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, Bildung ist.
Ich möchte meinen großen Wunsch zum Ausdruck bringen, eine Möglichkeit zu finden, mein Studium fortzusetzen.
Vielen Dank für deine Zeit.
Ich freue mich auf deine Antwort.
Nachdem ich stundenlang mit ihm gesprochen hatte, bekam ich endlich ein klares Bild davon, was mit ihm in den letzten Monaten und Jahren passiert war:
Ich kam im Frühjahr 2018 in Griechenland an. Nach über einem Monat in Haft erhielt ich ein Papier und wurde in ein Lager in der Nähe von Thessaloniki gebracht. Ich lebte dort fast drei Monate in einem Zelt, bevor ich in ein anderes Lager verlegt wurde. Ich fing an, Englisch- und Deutschkurse zu besuchen und meine Dokumente vorzubereiten, um eine Gelegenheit zu finden, mein Studium fortzusetzen und Arbeit zu finden. Bald fand ich einen Job als Dolmetscher für Farsi, Dari und Pashto. Irgendwann hatte ich mein erstes Interview, aber alles dauert extrem lange und ich wollte einfach mein Studium fortsetzen.
Ich habe Griechenland nur wenige Tage vor Ablauf meiner weißen Karte verlassen. Das war ein großer Fehler, den ich seitdem jeden Tag bereut habe. Aber niemand weiß, was die Zukunft bringt. Im Nachhinein ist einfach zu erkennen, was falsch und was richtig war. Ich dachte, ich würde ein Land erreichen, in dem ich studieren und meine Zukunft verändern könnte, aber alles stellte sich auf den Kopf.
Eigentlich hatte ich meine weiße Karte erneuern wollen, aber der Schmuggler überzeugte mich davon, dass ich sie nicht mehr brauchen würde, weil ich sowieso in ein anderes Land gehen würde. Wenn ich gewusst hätte, was passieren würde, wäre ich nie gegangen. Mein Ziel war es nur gewesen, Italien, zu erreichen, um weiter studieren und arbeiten zu können.
Ich habe es bis nach Serbien geschafft, konnte aber nicht weiter kommen. Ich verbrachte dort vier Monate, anderthalb Monate davon in einem Lager. Dann verließ ich das Lager - für die “Games” (“Games”, also “Spiele“, nennen Einheimische und Geflüchtete auf der Balkanroute den Versuch, Grenzen zu überqueren, ohne von der Polizei zurückgeschoben zu werden). Ich habe versucht, nach Rumänien zu gelangen, aber wir wurden verhaftet, geschlagen und sie haben uns alle unsere Sachen weggenommen. Immer wieder, jedes mal schoben sie uns zurück nach Serbien. Irgendwann brachte uns die Polizei in Serbien zurück an die andere Grenze und schob uns dann zurück nach Mazedonien. Das war im März 2020. Einige Tage blieben wir im Wald und versuchten, wieder nach Serbien zurückzukehren. Die serbische Polizei hat uns wiederholt zurückgedrängt und heftig geschlagen.Durch die Schläge habe ich das Augenlicht auf einem meiner Augen verloren. Irgendwann verhaftete uns die mazedonische Polizei und schob uns zurück nach Griechenland. Mit einem Güterzug fuhr ich zurück nach Thessaloniki und versuchte zu dem Lager zurückzukehren, in dem ich ursprünglich gelebt hatte. Ich war fast wieder dort, als mich die griechische Polizei festnahm. Sie sagten uns, wir würden Papiere bekommen. Ich sagte ihnen immer wieder, dass ich schon eine weiße Karte hatte, diese aber verloren habe. Ich wollte ihnen die Fotos der Karte auf meinem Handy zeigen - ich habe Bilder davon- aber sie haben mir mein Handy einfach weggenommen und alles ignoriert, was ich gesagt habe. Sie haben uns brutal geschlagen und alle unsere Sachen weggenommen - Handy, Geld, Schuhe, Taschen, alles.
Dann haben sie uns in die Türkei zurückgeschoben. Wir waren drei Tage und Nächte an der Grenze. Die türkische Polizei zwang uns zwei mal brutal dazu, auf griechisches Territorium zurückzukehren. Der Fahrer des Bootes trug Zivilkleidung, aber es war die türkische Armee, die uns mit Gewalt gezwungen hat, einzusteigen. Auf der griechischen Seite hat sich unsere Gruppe getrennt. Einige hatten vor, nach Thessaloniki zurückzukehren, aber ich und mein Freund suchten die griechische Polizei auf, um ihnen mitzuteilen, dass die Türkei uns nach Griechenland gezwungen hatte und wir nicht wussten, was wir tun sollten. Anstatt uns zu sagen, was wir tun sollten, fingen sie an, uns zu schlagen. Dann brachten sie uns an einen dunklen Ort. Nachts zwangen sie uns wieder auf Boote und schoben uns zurück. Am nächsten Tag wurden wir erneut von der türkischen Polizei festgenommen und gewaltsam auf griechisches Territorium zurückgeschoben. Griechenland und Türkei spielten mit uns, als wären wir Fußbälle. Zwei Mal.
Irgendwann schaffte ich es von der Grenze weg. Ich ging zu Fuß 170 km bis in die türkische Stadt Silivri. Von dort nahm ich ein Taxi, wofür ein Freund von mir bei meiner Ankunft in Istanbul bezahlte. Ich hatte nichts mehr bei mir und schlief zwei Nächte unter einer Brücke, bis ich einen Afghanen traf, der mich für ein paar Tage bei sich aufnahm.
Mein aktueller Gesundheitszustand ist nicht gut. Mein Sehvermögen wird von Tag zu Tag schlechter. Ich kann nachts wegen Albträumen, zu vielen Gedanken, Depressionen und Angstzuständen nicht schlafen. Ich gehe mit der Hoffnung auf ruhigen Schlaf zu Bett, aber es passiert nie. Meine Freunde sagen mir, dass ich nachts im Schlaf mit den Zähnen knirsche und viel schreie. Ich weiß nicht genau, was mit mir passiert. Wenn ich im Bett liege, fallen mir all die schrecklichen Szenen ein, die ich erlebt habe, und dann kann ich nicht schlafen.
Aber auf jeden Fall bin ich Gott dankbar für meine Gesundheit. Andere hatten nicht so viel Glück. Einer meiner engen Freunde starb in Mazedonien vor meinen Augen an einem Stromschlag, als er versuchte, aus einem Zug auszusteigen. Ich habe zugesehen, wie es passiert ist. Er kam mit einem Güterzug, in einem Öltanker versteckt, von Griechenland nach Mazedonien. Er versuchte aus dem Tanker auszusteigen, als sein Kopf das Elektrokabel berührte. Er kam in den Stromkreislauf und fiel zu Boden. Als ich ihn in meine Arme nahm, sah ich, dass sein ganzer Körper von dem Stromschlag verbrannt war. Ich fing an zu weinen, ich war so entmutigt. Ich sagte mir: "Was für ein Leben haben wir?" Drei Tage lag er im Koma und dann wurde seine Seele von den Engeln genommen. Möge seine Seele in Frieden ruhen.
Um ehrlich zu sein, manchmal fühlt es sich so an, als ob das Leben in dieser Welt mich dazu zwingen will, Selbstmord zu verüben. Aber dann sage ich mir: Ich muss mit dem Leid zurecht kommen, denn ohne den Schmerz, mit dem ich kämpfe, wäre ich nicht der, der ich bin.
Ich schwöre, der einzige Grund, warum ich Griechenland verlassen habe, ist, dass ich ein Land erreichen wollte, in dem ich mein Studium fortsetzen kann. Ich war ständig auf der Suche nach Möglichkeiten dazu in Griechenland, aber ich hatte nicht einmal die Chance, die griechische Sprache zu lernen. Ich habe Durst nach Bildung, um mein Studium auf meinem Gebiet fortzusetzen. Wenn ich mein Studium in Afghanistan fortsetzen hätte können, wäre ich nie gegangen.
Würdest du mir bitte versprechen, dass ich nicht von der Türkei nach Afghanistan deportiert werde?
Ich würde lieber sterben, als abgeschoben zu werden.
Ich habe in Google News gelesen, dass die Türkei 25.000 Flüchtlinge abschieben will. Ist das wahr?
Ich bin vom Leben erschöpft. Ich wünschte, ich könnte in mein Land zurückkehren, aber mein Leben ist wegen der Taliban ernsthaft bedroht. Ich hoffe, ich verschwende nicht deine kostbare Zeit.
Ismail ist einer der nettesten Menschen, mit denen ich je gesprochen habe. Seit November hat über 15 Push- Backs erleiden müssen. Trotz all dem Horror, den er durchgemacht hat, bedankt er sich immer wieder höflich bei uns - und möchte sogar Teil unseres Teams werden. Wir haben eine Unterkunft in der Türkei für ihn organisiert und tun unser Bestes, ihn zu stabilisieren, damit er sich von den Anstrengungen erholen kann, die er in den letzten fünf Monaten erleiden musste. Aber dann können wir uns keine bessere Ergänzung für unser Teams vorstellen als ihn!
Ich sehe, jedes eurer Teammitglieder hat eine einzigartige Persönlichkeit. Euer Bedürfnis, etwas zu tun, ist wirklich inspirierend. Etwas rein für die Menschheit zu tun, ist keine Arbeit für jede Persönlichkeit. Heutzutage gibt es nur mehr wenige wahre Menschen.
Ich bin stolz darauf, so freundliche und mitfühlende Menschen wie euch zu kennen. Mir fehlen die Worte dafür, euch für eure Zeit und euer Mitgefühl zu danken. Ich schätze eure Bemühungen und das, was ihr tut, sehr.
Ich wünschte, ich könnte euch für das entschädigen, was ihr für Menschen in Not tut. Ich wünschte, ich wäre auch ein Mitglied eures Teams. Möget Ihr in all euren Aufgaben und Lebensangelegenheiten Erfolg haben. Möge Gott euch alle segnen, ihr werdet immer in meinen Gebeten sein. Und möge Gott allen gnädig sein, die auf der ganzen Welt unter Gewalt leiden.
Ich schwöre, ich verspreche, wenn ich die Gelegenheit bekomme, mein Studium fortzusetzen und einen Job zu bekommen, werde auch ich andere Menschen helfen, wann immer ich kann. Wir müssen uns zusammenschließen, um gegen Gewalt und Grausamkeit und für die Menschenrechte zu kämpfen.
*Name aus Sicherheitsgründen geändert