Aktivismus

Unser Statement zu Moria

Jede Regierung, die noch irgendetwas auf unsere gemeinsamen europäischen Werte hält, muss jetzt handeln und weiteres Leid verhindern.

Moria brennt seit zwei Tagen. Es ist nicht das erste Mal, aber es könnte das letzte Mal gewesen sein. Moria existiert nicht mehr. 


Egal ob oder von wem die Feuer gelegt wurden: die Zustände, die diese Eskalation erst ermöglicht haben, sind eine direkte Folge der europäischen Abschottungspolitik. Über Abschreckung soll so der etliche Male widerlegte sogenannte Sogeffekt verhindert werden. Auch wenn das von den Regierungsveranwortlichen kaum je direkt ausgesprochen wird: die elenden Zustände in Moria sind – genauso wie in Libyen und an anderen Orten - absichtlich herbeigeführt worden.

 

Auch wenn sich jetzt einge europäischen Länder dafür aussprechen, einige Menschen aus Moria aufzunehmen, bleibt die menschenverachtende Strategie bestehen. Die österreichische Regierung hat das gestern erschreckend klar gemacht. Innenminister Nehammer spricht allen 13.000 Menschen in Moria ihr Menschenrecht auf Asyl ab, weil einzelne unter ihnen inoffiziell verdächtigt werden, die Brände gelegt zu haben. Dass er das sagt, ist schlimm genug. Wie er das sagt, macht es noch schlimmer. Schallenberg sagt offen, dass die Menschen in dem nicht mehr existenten Lager bleiben müssen, damit ihnen keine anderen nachfolgen können. Der Außenminister deutet außerdem an, dass die Zukunft der europäischen Migrationspolitik darin bestehen soll, über Handels- und Entwicklungspolitik verstärkte Kooperation von Drittstaaten zu erzwingen, Menschen an der Aus- bzw. Weiterreise nach Europa zu hindern. Leider ist dies längst gängige Praxis, beispielsweise im Niger und im Sudan. 

 

Die Minister der österreichischen Regierung sprechen diese kaltblütigen Worte mit der Selbstsicherheit aus, die Mehrheit der EU Mitglieder hinter sich zu haben. Schallenberg ist sicher, dass die EU eine Einigung auf Basis der Vorschläge der europäischen Kommission finden wird, die am Ende dieses Monats präsentiert werden.

 

Die meisten anderen EU- Länder drücken sich nicht so offen aus wie die österreichische Regierung. Doch die letzten Monate und Jahre haben gezeigt, dass die brutale Abschottungs- und Abschreckungspolitik ebenso wie die Menschenrechtsverletzungen europäischer Konsens sind. 


Deutschland übernahm im Sommer den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft. Eines der dafür gesetzten Ziele ist eine Einigung in der Migrationspolitik. Ebendiese wurde dabei immer wieder als Externalisierung, Rückführung und erst zuallerletzt Verteilung definiert.


Im Hinblick auf die Coronakrise haben Berlin und Thüringen angeboten, Menschen aus Moria aufzunehmen. Die NGO Mission Lifeline sammelte genügend Spenden um zwei Flugzeuge zu chartern und die Menschen eigenständig nach Deutschland zu bringen. Sie hätten in leerstehenden Hotels untergebracht werden können. Doch der deutsche Innenminister Seehofer verhinderte beides. Unter Berufung auf "eine europäische Lösung" wurde abgewartet. 


Genauso passierte es in hunderten Gemeinden in der ganzen EU. In Deutschland erklärten sich 178 Gemeinden zu sicheren Häfen. In Österreich erklärten sich über 100 Gemeinden bereit, Geflüchtete aus Griechenland aufzunehmen. Ebenso andere Städte und Gemeinden in vielen EU Ländern wie etwa Spanien, Italien oder den Niederlanden. Doch ihre Regierungen stellen sich immer wieder quer. 


So geht das seit Jahren. Ebenso lange war auch klar, dass es in Moria früher oder später eskalieren würde. Die Zustände waren schon vor COVID-19 und dem Brand unmenschlich. Durchweg erklärten Expert*innen auf dem Gebiet, dass sie so ein Elendslager nirgends anders auf der je Welt gesehen hatten. IIn Camps in Länder wie Bangladesch herrschen bessere Bedingungen als im größten Flüchtlingslager der EU. Dies ist eine politisch gewollte Notsituation.  Moria hätte ganz anders aussehen können wenn wir nur wollten. 


Die elenden Bedingungen in den Lagern werden noch von anderen Maßnahmen begleitet. Seit Jahren führt die EU selbst keine Seenotrettung mehr durch. Private Initiativen, die diese staatliche Aufgabe übernehmen, werden blockiert und kriminalisiert. Frontex- Missionen werden offen von Such- und Rettungsmissionen zu reinen “Grenzschutzmissionen” ummodelliert. Frontex - Soldaten, die sich weigern, an kriminellen Pushbacks der griechischen Regierung teilzunehmen, werden ausgewiesen. 


Die EU ist Friedensnobelpreisträgerin und präsentiert ihre Werte stolz, wo immer sie kann. Doch auf der europäischen Ebene dreht sich die Diskussion nicht um Werte - es geht um harten Pragmatismus im Angesicht der kollektiven Unwilligkeit, echte Lösungen zu verfolgen. Die Ideen, die diskutiert werden, sind alles außer Lösungen. Der einzige Konsens, zu dem die EU fähig scheint, ist Abschreckung. 


Vollkommen ignoriert werden dabei die Fluchtursachen, zu denen die EU einen großen Beitrag leistet. Auch EU- Recht, internationales Recht, ganz zu schweigen von den Menschenrechten werden zu Gänze ausgeblendet. 


Und spätestens da wird die Sache brandgefährlich. Die populistische Politik der letzten Jahre hat uns kollektiv schon so weit abgestumpft, dass es möglich ist, zu diskutieren, ob Menschenrechte tatsächlich für alle Menschen gelten sollen. Das an sich ist schon indiskutabler Rassismus, versteckt als Pragmatismus. Der österreichische Außenminister Schallenberg geht aber noch einen Schritt weiter, wenn er impliziert, dass wir abstumpfen müssen um pragmatisch genug zu sein, das Notleiden und den Tod von abertausenden Menschen in Kauf zu nehmen - nur, damit wir uns nicht mit den Problemen unserer globalen Gesellschaft auseinandersetzen müssen.


Egal ob geopolitische Konflikte, ungleiche Ressourcenverteilung, ein ausbeuterisches Wirtschaftssystem oder Umweltzerstörung: die Lösung der EU, stolze Friedensnobelpreisträgerin,  heißt wegschauen, abschotten und im rassistischen Eigeninteresse Leid an anderen Orten der Welt zu vergrößern..


Eine europäische Lösung ist also nicht in Sicht. Um aber auf Moria, den Anlass aber nicht den Grund für diesen Text zurückzukommen: Das Versagen der EU und der Rassismus anderer Mitgliedstaaten darf nicht als Ausrede genutzt werden, Menschen weiter leiden zu lassen. Vor allem nicht, wenn Aufnahmekapazitäten bereitstehen, wenn geholfen werden kann und will. Jede Regierung, die noch irgendetwas auf unsere gemeinsamen europäischen Werte hält, muss jetzt handeln und weiteres Leid verhindern.




Image Credits: Banksy

Moria brennt seit zwei Tagen. Es ist nicht das erste Mal, aber es könnte das letzte Mal gewesen sein. Moria existiert nicht mehr. 


Egal ob oder von wem die Feuer gelegt wurden: die Zustände, die diese Eskalation erst ermöglicht haben, sind eine direkte Folge der europäischen Abschottungspolitik. Über Abschreckung soll so der etliche Male widerlegte sogenannte Sogeffekt verhindert werden. Auch wenn das von den Regierungsveranwortlichen kaum je direkt ausgesprochen wird: die elenden Zustände in Moria sind – genauso wie in Libyen und an anderen Orten - absichtlich herbeigeführt worden.

 

Auch wenn sich jetzt einge europäischen Länder dafür aussprechen, einige Menschen aus Moria aufzunehmen, bleibt die menschenverachtende Strategie bestehen. Die österreichische Regierung hat das gestern erschreckend klar gemacht. Innenminister Nehammer spricht allen 13.000 Menschen in Moria ihr Menschenrecht auf Asyl ab, weil einzelne unter ihnen inoffiziell verdächtigt werden, die Brände gelegt zu haben. Dass er das sagt, ist schlimm genug. Wie er das sagt, macht es noch schlimmer. Schallenberg sagt offen, dass die Menschen in dem nicht mehr existenten Lager bleiben müssen, damit ihnen keine anderen nachfolgen können. Der Außenminister deutet außerdem an, dass die Zukunft der europäischen Migrationspolitik darin bestehen soll, über Handels- und Entwicklungspolitik verstärkte Kooperation von Drittstaaten zu erzwingen, Menschen an der Aus- bzw. Weiterreise nach Europa zu hindern. Leider ist dies längst gängige Praxis, beispielsweise im Niger und im Sudan. 

 

Die Minister der österreichischen Regierung sprechen diese kaltblütigen Worte mit der Selbstsicherheit aus, die Mehrheit der EU Mitglieder hinter sich zu haben. Schallenberg ist sicher, dass die EU eine Einigung auf Basis der Vorschläge der europäischen Kommission finden wird, die am Ende dieses Monats präsentiert werden.

 

Die meisten anderen EU- Länder drücken sich nicht so offen aus wie die österreichische Regierung. Doch die letzten Monate und Jahre haben gezeigt, dass die brutale Abschottungs- und Abschreckungspolitik ebenso wie die Menschenrechtsverletzungen europäischer Konsens sind. 


Deutschland übernahm im Sommer den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft. Eines der dafür gesetzten Ziele ist eine Einigung in der Migrationspolitik. Ebendiese wurde dabei immer wieder als Externalisierung, Rückführung und erst zuallerletzt Verteilung definiert.


Im Hinblick auf die Coronakrise haben Berlin und Thüringen angeboten, Menschen aus Moria aufzunehmen. Die NGO Mission Lifeline sammelte genügend Spenden um zwei Flugzeuge zu chartern und die Menschen eigenständig nach Deutschland zu bringen. Sie hätten in leerstehenden Hotels untergebracht werden können. Doch der deutsche Innenminister Seehofer verhinderte beides. Unter Berufung auf "eine europäische Lösung" wurde abgewartet. 


Genauso passierte es in hunderten Gemeinden in der ganzen EU. In Deutschland erklärten sich 178 Gemeinden zu sicheren Häfen. In Österreich erklärten sich über 100 Gemeinden bereit, Geflüchtete aus Griechenland aufzunehmen. Ebenso andere Städte und Gemeinden in vielen EU Ländern wie etwa Spanien, Italien oder den Niederlanden. Doch ihre Regierungen stellen sich immer wieder quer. 


So geht das seit Jahren. Ebenso lange war auch klar, dass es in Moria früher oder später eskalieren würde. Die Zustände waren schon vor COVID-19 und dem Brand unmenschlich. Durchweg erklärten Expert*innen auf dem Gebiet, dass sie so ein Elendslager nirgends anders auf der je Welt gesehen hatten. IIn Camps in Länder wie Bangladesch herrschen bessere Bedingungen als im größten Flüchtlingslager der EU. Dies ist eine politisch gewollte Notsituation.  Moria hätte ganz anders aussehen können wenn wir nur wollten. 


Die elenden Bedingungen in den Lagern werden noch von anderen Maßnahmen begleitet. Seit Jahren führt die EU selbst keine Seenotrettung mehr durch. Private Initiativen, die diese staatliche Aufgabe übernehmen, werden blockiert und kriminalisiert. Frontex- Missionen werden offen von Such- und Rettungsmissionen zu reinen “Grenzschutzmissionen” ummodelliert. Frontex - Soldaten, die sich weigern, an kriminellen Pushbacks der griechischen Regierung teilzunehmen, werden ausgewiesen. 


Die EU ist Friedensnobelpreisträgerin und präsentiert ihre Werte stolz, wo immer sie kann. Doch auf der europäischen Ebene dreht sich die Diskussion nicht um Werte - es geht um harten Pragmatismus im Angesicht der kollektiven Unwilligkeit, echte Lösungen zu verfolgen. Die Ideen, die diskutiert werden, sind alles außer Lösungen. Der einzige Konsens, zu dem die EU fähig scheint, ist Abschreckung. 


Vollkommen ignoriert werden dabei die Fluchtursachen, zu denen die EU einen großen Beitrag leistet. Auch EU- Recht, internationales Recht, ganz zu schweigen von den Menschenrechten werden zu Gänze ausgeblendet. 


Und spätestens da wird die Sache brandgefährlich. Die populistische Politik der letzten Jahre hat uns kollektiv schon so weit abgestumpft, dass es möglich ist, zu diskutieren, ob Menschenrechte tatsächlich für alle Menschen gelten sollen. Das an sich ist schon indiskutabler Rassismus, versteckt als Pragmatismus. Der österreichische Außenminister Schallenberg geht aber noch einen Schritt weiter, wenn er impliziert, dass wir abstumpfen müssen um pragmatisch genug zu sein, das Notleiden und den Tod von abertausenden Menschen in Kauf zu nehmen - nur, damit wir uns nicht mit den Problemen unserer globalen Gesellschaft auseinandersetzen müssen.


Egal ob geopolitische Konflikte, ungleiche Ressourcenverteilung, ein ausbeuterisches Wirtschaftssystem oder Umweltzerstörung: die Lösung der EU, stolze Friedensnobelpreisträgerin,  heißt wegschauen, abschotten und im rassistischen Eigeninteresse Leid an anderen Orten der Welt zu vergrößern..


Eine europäische Lösung ist also nicht in Sicht. Um aber auf Moria, den Anlass aber nicht den Grund für diesen Text zurückzukommen: Das Versagen der EU und der Rassismus anderer Mitgliedstaaten darf nicht als Ausrede genutzt werden, Menschen weiter leiden zu lassen. Vor allem nicht, wenn Aufnahmekapazitäten bereitstehen, wenn geholfen werden kann und will. Jede Regierung, die noch irgendetwas auf unsere gemeinsamen europäischen Werte hält, muss jetzt handeln und weiteres Leid verhindern.




Image Credits: Banksy

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