Juni ist der internationale Pride-Monat, in dem Menschen auf der ganzen Welt LGBTQIA-Identität und Pride feiern und gleichzeitig Bewusstsein für die allgegenwärtige Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen gegenüber sexuellen Minderheiten schaffen wollen. Wir nehmen das zum Anlass, um in diesem Teil unserer Inforeihe über LGBTQIA im Kontext von erzwungener Migration, europäischer Asylpolitik und Menschenrechtsverletzungen zu sprechen.
Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen und / oder geschlechtlichen Identität aus ihrem Herkunftsland fliehen müssen, müssen oft unwürdige und diskriminierende Praktiken ertragen. Zu oft werden Schutzmaßnahmen nicht umgesetzt, sodass LGBTQIA-Geflüchtete gezwungen sind, in Lagern oder Gemeinschaftsunterkünften mit Menschen aus den Ländern zu leben, aus denen sie geflohen sind. Dadurch besteht die Gefahr, dass sie die gleiche Art von Diskriminierung und Gewalt erfahren, vor der sie ursprünglich geflohen sind. Theoretisch schreibt EU-Recht vor, wie LGBTQIA-Geflüchtete zu schützen sind - aber wie bei so vielen anderen Gesetzen werden auch diese Vorschriften oft verletzt und missachtet.
Für diesen zehnten Artikel der Inforeihe haben wir etwas besonderes geplant und sprechen mit einer Expertin zu diesem komplexen Thema. Wir freuen uns, dass wir heute einen Blogbeitrag veröffentlichen können, den Abigail Field - Rechtsexpertin für Rechte von LGBTQIA-Geflüchteten - für uns geschrieben hat. Sie arbeitet seit mehreren Jahren auf Lesbos, hilft Geflüchteten bei der Vorbereitung ihrer Asylgespräche und koordiniert Familienzusammenführungen. Ihr besonderer Fokus sind LGBTQIA-Geflüchtete und sie schreibt in diesem Beitrag darüber was genau europäisches Recht über diese saft und wie es derzeit umgesetzt wird.
In vielen Ländern werden sexuelle Minderheiten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ausgegrenzt, verfolgt und diskriminiert. Als Gemeinschaft erleben sie weltweit eine Vielzahl an Menschenrechtsverletzungen, unter anderem körperliche Gewalt, sexueller Missbrauch, Belästigung und Bedrohung, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen. Nach Angaben des Human Dignity Trust gibt es derzeit 71 Länder, die gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten kriminalisieren, und 15 Länder, die die Geschlechtsidentität und / oder den Geschlechtsausdruck von Transgender-Personen kriminalisieren. Unter solchen Umständen sind die Menschen oft gezwungen, aus ihrem Herkunftsland zu fliehen, weil ihre Sicherheit bedroht oder gefährdet ist.
Asylbewerber*innen die aufgrund ihrer sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität (SOGI) verfolgt werden, werden vom EU-Recht als Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe anerkannt und können dadurch Flüchtlingsstatus erlangen. [2] Bei der Beurteilung des Anspruchs wird SOGI-Antragsteller*innen aufgrund der persönlichen und sensiblen Natur ihres Anspruchs zusätzlicher Schutz gewährt. Zum Beispiel kann nicht allein aus der späten Offenlegung ihrer sexuellen Orientierung oder Identität abgeleitet werden, dass der*die Antragsteller*in nicht glaubwürdig ist. Es gibt außerdem bestimmte Einschränkungen in Bezug auf die Beweise und Fragen, die Sachbearbeiter*innen während des Interviews stellen dürfen. [3]
In den meisten Fällen ist das Interview der antragstellenden Person die wichtigste Quelle für Beweise. [4] Da die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität nichts Äußerliches ist, sondern der eigenen Identität innewohnt, ist es schwierig durch dieses Verfahren die Glaubwürdigkeit der Antragstellenden festzustellen. Oft gibt es nur wenige externe Beweise, die deren Aussagen stützen. Außerdem können SOGI-Antragstellende zusätzliche Barrieren haben, die es ihnen erschweren ihre Situation zu artikulieren. Dazu gehören unter anderem Schamgefühle, verinnerlichte Homophobie sowie die Tatsache, dass sie ihre Identität viele Jahre verheimlicht haben oder sich mit ihrer Identität noch nicht ganz wohl fühlen. [5] All dies erschwert es ihnen ihren Anspruch glaubhaft zu vermitteln.
Folglich greifen Sachbearbeiter*innen häufig auf stereotype Vorstellungen zurück, um die Glaubwürdigkeit von SOGI-Ansprüchen zu beurteilen. [6] Die Verwendung von Stereotypen kann in Form von Fragen, Erwartungen an die Lebensweise sexueller Minderheiten oder Vermutungen über Aussehen, Auftreten oder Verhalten erfolgen. In einer Entscheidung des EU-Gerichtshofs wurde festgestellt, dass stereotype Vorstellungen zwar verwendet werden können, um die Sachbearbeiter*innen bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen, dass man sich aber nicht ausschließlich auf sie verlassen darf. Nichtsdestotrotz ist die Verwendung und das Vertrauen auf stereotype Vorstellungen höchst problematisch; sie sind oft eurozentrisch, verkennen die Komplexität und gehen davon aus, dass jede SOGI-Person die gleichen Lebenserfahrungen hat. Darüber hinaus haben Studien gezeigt, dass Entscheidungen, die auf Stereotypen basieren, häufiger falsch sind. [7]
Zusätzlich zu der übermäßigen Verwendung von Fragen, die auf Stereotypen beruhen, ist die Formulierung der Fragen während der Asylanhörung oft unsensibel oder voreingenommen. Die Fragen bezeichnen sexuelle Orientierung oft als "Wahl" oder "Lebensstil". Manchmal werden antragstellende Personen sogar gefragt, warum sie sich für eine gleichgeschlechtliche Beziehung entschieden haben, da sie doch wussten, welche Probleme dadurch entstehen würden. Dies ist besonders problematisch, wenn man bedenkt, dass der*die Asylbewerber*in möglicherweise bereits Schamgefühle hat. Wenn eine Person aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität ein traumatisches Ereignis erlebt hat, kommen solche Formulierungen einer Täter-Opfer-Umkehr gleich.
Um Vorurteile und Diskriminierung gegenüber SOGI-Antragstellenden zu verhindern, müssen Sachbearbeiter*innen und Asylbehörden aller europäischen Länder weiter geschult werden. Es gibt bereits einen rechtlichen Rahmen: die EU-Charta und die Asylverfahrensrichtlinie (Neufassung) besagen, dass Anträge individuell, objektiv und unparteiisch zu prüfen sind, und gemäß der EU-Verfahrensrichtlinie sollten Sachbearbeiter*innen sowohl ausreichend geschult als auch kompetent in Bezug auf SOGI-Anträge sein. Das Problem ist, dass dies in der Praxis nicht umgesetzt wird. Es braucht eine angemessene und gründliche Ausbildung, die die Komplexität von SOGI-Asylanträgen anerkennt.
[1] Victoria Neilson, ‘Homosexual or Female – Applying Gender-Based Asylum Jurisprudence to Lesbian Asylum Claims’ (2005) 16 Stanford Law & Policy Review 417, 425-426; Kate Sheill, ‘Losing out in the intersections: lesbians, human rights, law and activism’ (2009) 15 Contemporary Politics 55; Mark Messih, ‘Mental Health in LGBT Refugee Populations’ (2016) 11 American Journal of Psychiatry Residents' Journal 5.
[2] Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 7 November 2013, X, Y und Z, Fälle C199/12 und C201/12, EU:C:2013:720.
[3] A, B, C v Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie, C-148/13 bis C-150/13, Europäische Union: Gerichtshof der Europäischen Union, 2 Dezember 2014 (A, B und C) [2014].
[4] Sabine Jansen and Thomas Spijkerboer, Fleeing Homophobia: Asylum Claims Related to Sexual Orientation and Gender Identity in Europe (Vrije Universiteit Amsterdam 2011) 47.
[5] ibid.
[6] Vítor Lopes Andrade et al, ‘Queering Asylum in Europe: A Survey Report’ (SOGICA, Juli 2020); Charlotte Mathysse, ‘Barriers to justice in the UK’ in Sexual Orientation and Gender Identity and the Protection of Forced Migrants (Forced Migration Review issue 42, April 2013); Gartner (n 110).
[7] Erin Gomez, ‘The Post-ABC Situation of LGB Refugees in Europe’ 30 Emory International Law Review 475.
Juni ist der internationale Pride-Monat, in dem Menschen auf der ganzen Welt LGBTQIA-Identität und Pride feiern und gleichzeitig Bewusstsein für die allgegenwärtige Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen gegenüber sexuellen Minderheiten schaffen wollen. Wir nehmen das zum Anlass, um in diesem Teil unserer Inforeihe über LGBTQIA im Kontext von erzwungener Migration, europäischer Asylpolitik und Menschenrechtsverletzungen zu sprechen.
Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen und / oder geschlechtlichen Identität aus ihrem Herkunftsland fliehen müssen, müssen oft unwürdige und diskriminierende Praktiken ertragen. Zu oft werden Schutzmaßnahmen nicht umgesetzt, sodass LGBTQIA-Geflüchtete gezwungen sind, in Lagern oder Gemeinschaftsunterkünften mit Menschen aus den Ländern zu leben, aus denen sie geflohen sind. Dadurch besteht die Gefahr, dass sie die gleiche Art von Diskriminierung und Gewalt erfahren, vor der sie ursprünglich geflohen sind. Theoretisch schreibt EU-Recht vor, wie LGBTQIA-Geflüchtete zu schützen sind - aber wie bei so vielen anderen Gesetzen werden auch diese Vorschriften oft verletzt und missachtet.
Für diesen zehnten Artikel der Inforeihe haben wir etwas besonderes geplant und sprechen mit einer Expertin zu diesem komplexen Thema. Wir freuen uns, dass wir heute einen Blogbeitrag veröffentlichen können, den Abigail Field - Rechtsexpertin für Rechte von LGBTQIA-Geflüchteten - für uns geschrieben hat. Sie arbeitet seit mehreren Jahren auf Lesbos, hilft Geflüchteten bei der Vorbereitung ihrer Asylgespräche und koordiniert Familienzusammenführungen. Ihr besonderer Fokus sind LGBTQIA-Geflüchtete und sie schreibt in diesem Beitrag darüber was genau europäisches Recht über diese saft und wie es derzeit umgesetzt wird.
In vielen Ländern werden sexuelle Minderheiten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ausgegrenzt, verfolgt und diskriminiert. Als Gemeinschaft erleben sie weltweit eine Vielzahl an Menschenrechtsverletzungen, unter anderem körperliche Gewalt, sexueller Missbrauch, Belästigung und Bedrohung, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen. Nach Angaben des Human Dignity Trust gibt es derzeit 71 Länder, die gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten kriminalisieren, und 15 Länder, die die Geschlechtsidentität und / oder den Geschlechtsausdruck von Transgender-Personen kriminalisieren. Unter solchen Umständen sind die Menschen oft gezwungen, aus ihrem Herkunftsland zu fliehen, weil ihre Sicherheit bedroht oder gefährdet ist.
Asylbewerber*innen die aufgrund ihrer sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität (SOGI) verfolgt werden, werden vom EU-Recht als Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe anerkannt und können dadurch Flüchtlingsstatus erlangen. [2] Bei der Beurteilung des Anspruchs wird SOGI-Antragsteller*innen aufgrund der persönlichen und sensiblen Natur ihres Anspruchs zusätzlicher Schutz gewährt. Zum Beispiel kann nicht allein aus der späten Offenlegung ihrer sexuellen Orientierung oder Identität abgeleitet werden, dass der*die Antragsteller*in nicht glaubwürdig ist. Es gibt außerdem bestimmte Einschränkungen in Bezug auf die Beweise und Fragen, die Sachbearbeiter*innen während des Interviews stellen dürfen. [3]
In den meisten Fällen ist das Interview der antragstellenden Person die wichtigste Quelle für Beweise. [4] Da die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität nichts Äußerliches ist, sondern der eigenen Identität innewohnt, ist es schwierig durch dieses Verfahren die Glaubwürdigkeit der Antragstellenden festzustellen. Oft gibt es nur wenige externe Beweise, die deren Aussagen stützen. Außerdem können SOGI-Antragstellende zusätzliche Barrieren haben, die es ihnen erschweren ihre Situation zu artikulieren. Dazu gehören unter anderem Schamgefühle, verinnerlichte Homophobie sowie die Tatsache, dass sie ihre Identität viele Jahre verheimlicht haben oder sich mit ihrer Identität noch nicht ganz wohl fühlen. [5] All dies erschwert es ihnen ihren Anspruch glaubhaft zu vermitteln.
Folglich greifen Sachbearbeiter*innen häufig auf stereotype Vorstellungen zurück, um die Glaubwürdigkeit von SOGI-Ansprüchen zu beurteilen. [6] Die Verwendung von Stereotypen kann in Form von Fragen, Erwartungen an die Lebensweise sexueller Minderheiten oder Vermutungen über Aussehen, Auftreten oder Verhalten erfolgen. In einer Entscheidung des EU-Gerichtshofs wurde festgestellt, dass stereotype Vorstellungen zwar verwendet werden können, um die Sachbearbeiter*innen bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen, dass man sich aber nicht ausschließlich auf sie verlassen darf. Nichtsdestotrotz ist die Verwendung und das Vertrauen auf stereotype Vorstellungen höchst problematisch; sie sind oft eurozentrisch, verkennen die Komplexität und gehen davon aus, dass jede SOGI-Person die gleichen Lebenserfahrungen hat. Darüber hinaus haben Studien gezeigt, dass Entscheidungen, die auf Stereotypen basieren, häufiger falsch sind. [7]
Zusätzlich zu der übermäßigen Verwendung von Fragen, die auf Stereotypen beruhen, ist die Formulierung der Fragen während der Asylanhörung oft unsensibel oder voreingenommen. Die Fragen bezeichnen sexuelle Orientierung oft als "Wahl" oder "Lebensstil". Manchmal werden antragstellende Personen sogar gefragt, warum sie sich für eine gleichgeschlechtliche Beziehung entschieden haben, da sie doch wussten, welche Probleme dadurch entstehen würden. Dies ist besonders problematisch, wenn man bedenkt, dass der*die Asylbewerber*in möglicherweise bereits Schamgefühle hat. Wenn eine Person aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität ein traumatisches Ereignis erlebt hat, kommen solche Formulierungen einer Täter-Opfer-Umkehr gleich.
Um Vorurteile und Diskriminierung gegenüber SOGI-Antragstellenden zu verhindern, müssen Sachbearbeiter*innen und Asylbehörden aller europäischen Länder weiter geschult werden. Es gibt bereits einen rechtlichen Rahmen: die EU-Charta und die Asylverfahrensrichtlinie (Neufassung) besagen, dass Anträge individuell, objektiv und unparteiisch zu prüfen sind, und gemäß der EU-Verfahrensrichtlinie sollten Sachbearbeiter*innen sowohl ausreichend geschult als auch kompetent in Bezug auf SOGI-Anträge sein. Das Problem ist, dass dies in der Praxis nicht umgesetzt wird. Es braucht eine angemessene und gründliche Ausbildung, die die Komplexität von SOGI-Asylanträgen anerkennt.
[1] Victoria Neilson, ‘Homosexual or Female – Applying Gender-Based Asylum Jurisprudence to Lesbian Asylum Claims’ (2005) 16 Stanford Law & Policy Review 417, 425-426; Kate Sheill, ‘Losing out in the intersections: lesbians, human rights, law and activism’ (2009) 15 Contemporary Politics 55; Mark Messih, ‘Mental Health in LGBT Refugee Populations’ (2016) 11 American Journal of Psychiatry Residents' Journal 5.
[2] Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 7 November 2013, X, Y und Z, Fälle C199/12 und C201/12, EU:C:2013:720.
[3] A, B, C v Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie, C-148/13 bis C-150/13, Europäische Union: Gerichtshof der Europäischen Union, 2 Dezember 2014 (A, B und C) [2014].
[4] Sabine Jansen and Thomas Spijkerboer, Fleeing Homophobia: Asylum Claims Related to Sexual Orientation and Gender Identity in Europe (Vrije Universiteit Amsterdam 2011) 47.
[5] ibid.
[6] Vítor Lopes Andrade et al, ‘Queering Asylum in Europe: A Survey Report’ (SOGICA, Juli 2020); Charlotte Mathysse, ‘Barriers to justice in the UK’ in Sexual Orientation and Gender Identity and the Protection of Forced Migrants (Forced Migration Review issue 42, April 2013); Gartner (n 110).
[7] Erin Gomez, ‘The Post-ABC Situation of LGB Refugees in Europe’ 30 Emory International Law Review 475.