Updates von den Grenzen

Endlose Odyssee

Updates aus der Türkei von Samstag, 18.04.2020 bis Montag, 20.04.2020

Samstag 18.04.2020


Eine Gruppe von 50 Personen, hauptsächlich Familien, wurde am Morgen aus dem Malatya-Quarantäne-Camp nach Izmir gebracht. Sie riefen die von uns weitergegebenen NGO-Nummern an: Der Rote Halbmond leitete sie ständig an die Polizei weiter, ASAM (lokaler UNHCR-Partner) nahm einfach gar keine Anrufe an. Unsere lokalen Partner, einige unabhängige Freiwillige, taten ihr bestes um sie zu erreichen, wurden jedoch immer wieder von der Polizei daran gehindert. Schließlich traf ein Bus an, der jedoch zunächst nicht losfuhr. Schließlich konnten die Freiwilligen beobachten, wie  die Busse in Richtung des Abschiebegefängnisses in Izmir gefahren wurden. Bis dahin hatten wir noch Kontakt zu jemandem aus dieser Gruppe. Jetzt können wir sie nicht erreichen, das Telefon ist ausgeschaltet - entweder weggenommen oder es gibt kein Signal mehr.


Die Familien, die am Freitag in Trabzon zurückgelassen wurden, berichteten zunächst, dass endlich ein Bus angekommen war, um sie nach Hause zu bringen. Leider stellte sich heraus, dass sie stattdessen in ein anderes geschlossenes Lager gebracht wurden. Unser Kontakt schickte uns eine weitere verzweifelte Sprachnachricht: „Ich weiß nicht, was sie mit unserem Leben anfangen werden, sie haben uns wieder ins Gefängnis gebracht.“



Um 14 Uhr erfuhren wir von der absurden Geschichte eines Syrers, der dafür bestraft wurde, vom Istanbuler Busbahnhof nach Hause zu gehen, wo er gerade abgesetzt worden war. Er war nach Istanbul gebracht und angewiesen worden, nach Hause zu gehen. Wenig später wurde er von der Polizei gestoppt die eine Geldstrafe von 3180 türkischen Lira (420 Euro)  verhängte, da er gegen die Ausgangssperre verstoßen hatte.


Die Gruppe von Menschen, die seit gestern auf dem Weg nach Mersin waren, ist angekommen. Zurückgelassen auf der Straße, ohne Geld oder Unterstützung, schickten sie uns ein Video, in dem sie uns ihre Situation beschrieben. Aufgrund der Ausgangssperre konnte niemand sie erreichen, um zu helfen. Nur Polizisten waren auf den Straßen unterwegs, ignorierten aber die Not der Geflüchteten einfach. Unsere lokalen Partner nutzten das Video erfolgreich, um Druck auf die Einwanderungsbehörde auszuüben, und schließlich wurden die Gruppe in einem Hotel untergebracht.



Neben all diesen herzzerreißenden Informationen erhielten wir ein Update von einer Gruppe von 33 Syrern, die sich derzeit in einem Lager in Yalova aufhalten. Sie erzählten uns, wie nett die Polizei sie behandelte, ihre Zigaretten mit ihnen teilte und sich um sie kümmerte. Für uns ist das nur ein weiterer Beweis dafür, dass jeder und jede Einzelne immer Menschlichkeit wählen kann, egal, was die äußeren Umstände sind. Selbst in einer solchen Situation bewirkt ein kleines Bisschen Menschlichkeit schon Unmengen für die Betroffenen.


Spät in der Nacht wurde unser lokaler Partner in Istanbul von einem Paar mit einem kleinen Kind um Hilfe gebeten. Nachdem sie aus dem Quarantänelager dorthin gebracht worden waren, hatten sie neun Stunden auf der Straße ausgeharrt, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden können. Es gelang, ein Hotelzimmer für sie zu arrangieren, das von euren Spenden bezahlt wurde.

Zurückgelassen auf der Straße


Sonntag 19.04.2020


Wir versuchen noch immer herauszufinden, was genau mit der Gruppe von Algeriern passiert ist, die sechs Tage in einer Turnhalle verbracht hatte, da die kontaktierten NGOs nicht auf ihre Hilferufe reagierten (Link). Busse sollten organisiert werden und sie schon am Freitag nach Hause bringen. Doch es kam anders: Wir haben die Nachricht erhalten, dass sie zurück in ein Abschiebegefängnis in Malatya gebracht wurden.  Als sie noch auf den Rücktransport nach Istanbul hofften, sagten sie mir, sie hätten fast kein Essen mehr, könnten aber aufgrund ihrer Verzweiflung und Angst sowieso kaum noch essen, selbst wenn sie etwas hätten.



Während der Nacht kontaktierte uns eine Gruppe aus einem Internierungslager in der Nähe von Ankara, die seit Freitag dort inhaftiert war. Die Behörden bereiteten Busse vor, angeblich um sie in ihre Städte zurück zu bringen. Wir hoffen sehr, dass es diesmal stimmt!


Endlich hörten wir wieder von der Gruppe von 60 Iranern, um die wir uns große Sorgen gemacht hatten. 30 von ihnen waren am Freitag freigelassen worden und in Kütahya abgesetzt worden - kurz darauf jedoch erneut im Internierungslager Kütayha inhaftiert. Anschließend wurden sie erneut an einen neuen Ort verlegt, ohne darüber informiert zu werden, wohin. Sie sind in einem schrecklichen Zustand und leiden unter den Erinnerungen der letzten sechs Wochen sowie unter den körperlichen Schmerzen aufgrund von Verletzungen durch griechische Soldaten.


Schließlich kontaktierte uns auch der andere Teil der Gruppe, der in dem gleichen Internierungslager in Kütayha untergebracht worden war. Auch sie wurden um 15.30 zu einem bislang unbekanntem neuen Ort transportiert. 


Die Gruppe aus Yalova ist erfreulicherweise unterwegs zu ihren vorherigen Wohnorten, Konya, Adana, Kilis, Adiyaman, and Kayseri. 


Um 20 Uhr wurden wir darüber informiert, dass die Menschen im Internierungslager in Ankara ebenfalls entlassen wurden und nun angeblich auf dem Weg nach Hause sind. 


Montag 20.04.2020 


Die schockierendste Information der letzen Tage ist, dass viele Menschen, die in Pazarkule waren, ihren Status als registrierte Flüchtlinge verloren haben. “Kimlic” ist der Ausweis für alle in der Türkei registrierte Menschen, egal ob Geflüchtete, Bürger oder Austauschstudent*in. Wir kennen derzeit mindestens 3000 Personen, deren “Kimlics” nun abgelaufen sind. Es gibt keine offiziellen Informationen oder Dokumente zur Aussetzung. Die IDs sind einfach nicht mehr gültig. Wir haben seit gestern versucht, mehr darüber herauszufinden.


Die Gruppe aus dem Internierungslager in Ankara ist zunehmend nervös, da der Bus sehr langsam fährt und sie mittlerweile nicht mehr daran glauben, tatsächlich zurück zu ihrem vorherigem Wohnort gebracht zu werden. 


Wie angekündigt wurde die Gruppe aus dem Abschiebegefängnis in Izmir heute freigelassen, zunächst wurden sie zur Busstation in Izmir gebracht, dann jedoch nach Manisa transportiert und dort ausgesetzt. 


Mittlerweile ist das Quarantäne-Camp in Malatya vollständig geleert worden, im Osmaniye-Camp werden weiterhin einige Menschen festgehalten. 


Unser kürzlich implementiertes System, die Nummern von größeren NGOs wie ASAM zu verteilen, sodass die Menschen dort direkt anrufen können, während wir sie ebenfalls unter Druck setzen, scheint nicht mehr zu funktionieren. Während im Laufe der vergangenen  Woche viele Gruppen auf diese Weise Hilfe  bekommen konnten, wurden die NGOs seit dem Wochenende kaum mehr aktiv; entweder ignorierten sie die Anrufe, verwiesen an die Polizei oder verweigerten die Hilfe. Dadurch blieben viele Menschen hilflos auf den Straßen zurück. Häufig wurden sie sogar in andere Internierungslager gebracht, wenn wir oder unsere lokalen Partner sie nicht selbst erreichen und versorgen konnten. Ein Großteil der Menschen wird noch immer willkürlich durch die Gegend transportiert, ohne weder zu wissen wohin, noch für wie lange. 

Samstag 18.04.2020


Eine Gruppe von 50 Personen, hauptsächlich Familien, wurde am Morgen aus dem Malatya-Quarantäne-Camp nach Izmir gebracht. Sie riefen die von uns weitergegebenen NGO-Nummern an: Der Rote Halbmond leitete sie ständig an die Polizei weiter, ASAM (lokaler UNHCR-Partner) nahm einfach gar keine Anrufe an. Unsere lokalen Partner, einige unabhängige Freiwillige, taten ihr bestes um sie zu erreichen, wurden jedoch immer wieder von der Polizei daran gehindert. Schließlich traf ein Bus an, der jedoch zunächst nicht losfuhr. Schließlich konnten die Freiwilligen beobachten, wie  die Busse in Richtung des Abschiebegefängnisses in Izmir gefahren wurden. Bis dahin hatten wir noch Kontakt zu jemandem aus dieser Gruppe. Jetzt können wir sie nicht erreichen, das Telefon ist ausgeschaltet - entweder weggenommen oder es gibt kein Signal mehr.


Die Familien, die am Freitag in Trabzon zurückgelassen wurden, berichteten zunächst, dass endlich ein Bus angekommen war, um sie nach Hause zu bringen. Leider stellte sich heraus, dass sie stattdessen in ein anderes geschlossenes Lager gebracht wurden. Unser Kontakt schickte uns eine weitere verzweifelte Sprachnachricht: „Ich weiß nicht, was sie mit unserem Leben anfangen werden, sie haben uns wieder ins Gefängnis gebracht.“



Um 14 Uhr erfuhren wir von der absurden Geschichte eines Syrers, der dafür bestraft wurde, vom Istanbuler Busbahnhof nach Hause zu gehen, wo er gerade abgesetzt worden war. Er war nach Istanbul gebracht und angewiesen worden, nach Hause zu gehen. Wenig später wurde er von der Polizei gestoppt die eine Geldstrafe von 3180 türkischen Lira (420 Euro)  verhängte, da er gegen die Ausgangssperre verstoßen hatte.


Die Gruppe von Menschen, die seit gestern auf dem Weg nach Mersin waren, ist angekommen. Zurückgelassen auf der Straße, ohne Geld oder Unterstützung, schickten sie uns ein Video, in dem sie uns ihre Situation beschrieben. Aufgrund der Ausgangssperre konnte niemand sie erreichen, um zu helfen. Nur Polizisten waren auf den Straßen unterwegs, ignorierten aber die Not der Geflüchteten einfach. Unsere lokalen Partner nutzten das Video erfolgreich, um Druck auf die Einwanderungsbehörde auszuüben, und schließlich wurden die Gruppe in einem Hotel untergebracht.



Neben all diesen herzzerreißenden Informationen erhielten wir ein Update von einer Gruppe von 33 Syrern, die sich derzeit in einem Lager in Yalova aufhalten. Sie erzählten uns, wie nett die Polizei sie behandelte, ihre Zigaretten mit ihnen teilte und sich um sie kümmerte. Für uns ist das nur ein weiterer Beweis dafür, dass jeder und jede Einzelne immer Menschlichkeit wählen kann, egal, was die äußeren Umstände sind. Selbst in einer solchen Situation bewirkt ein kleines Bisschen Menschlichkeit schon Unmengen für die Betroffenen.


Spät in der Nacht wurde unser lokaler Partner in Istanbul von einem Paar mit einem kleinen Kind um Hilfe gebeten. Nachdem sie aus dem Quarantänelager dorthin gebracht worden waren, hatten sie neun Stunden auf der Straße ausgeharrt, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden können. Es gelang, ein Hotelzimmer für sie zu arrangieren, das von euren Spenden bezahlt wurde.

Zurückgelassen auf der Straße


Sonntag 19.04.2020


Wir versuchen noch immer herauszufinden, was genau mit der Gruppe von Algeriern passiert ist, die sechs Tage in einer Turnhalle verbracht hatte, da die kontaktierten NGOs nicht auf ihre Hilferufe reagierten (Link). Busse sollten organisiert werden und sie schon am Freitag nach Hause bringen. Doch es kam anders: Wir haben die Nachricht erhalten, dass sie zurück in ein Abschiebegefängnis in Malatya gebracht wurden.  Als sie noch auf den Rücktransport nach Istanbul hofften, sagten sie mir, sie hätten fast kein Essen mehr, könnten aber aufgrund ihrer Verzweiflung und Angst sowieso kaum noch essen, selbst wenn sie etwas hätten.



Während der Nacht kontaktierte uns eine Gruppe aus einem Internierungslager in der Nähe von Ankara, die seit Freitag dort inhaftiert war. Die Behörden bereiteten Busse vor, angeblich um sie in ihre Städte zurück zu bringen. Wir hoffen sehr, dass es diesmal stimmt!


Endlich hörten wir wieder von der Gruppe von 60 Iranern, um die wir uns große Sorgen gemacht hatten. 30 von ihnen waren am Freitag freigelassen worden und in Kütahya abgesetzt worden - kurz darauf jedoch erneut im Internierungslager Kütayha inhaftiert. Anschließend wurden sie erneut an einen neuen Ort verlegt, ohne darüber informiert zu werden, wohin. Sie sind in einem schrecklichen Zustand und leiden unter den Erinnerungen der letzten sechs Wochen sowie unter den körperlichen Schmerzen aufgrund von Verletzungen durch griechische Soldaten.


Schließlich kontaktierte uns auch der andere Teil der Gruppe, der in dem gleichen Internierungslager in Kütayha untergebracht worden war. Auch sie wurden um 15.30 zu einem bislang unbekanntem neuen Ort transportiert. 


Die Gruppe aus Yalova ist erfreulicherweise unterwegs zu ihren vorherigen Wohnorten, Konya, Adana, Kilis, Adiyaman, and Kayseri. 


Um 20 Uhr wurden wir darüber informiert, dass die Menschen im Internierungslager in Ankara ebenfalls entlassen wurden und nun angeblich auf dem Weg nach Hause sind. 


Montag 20.04.2020 


Die schockierendste Information der letzen Tage ist, dass viele Menschen, die in Pazarkule waren, ihren Status als registrierte Flüchtlinge verloren haben. “Kimlic” ist der Ausweis für alle in der Türkei registrierte Menschen, egal ob Geflüchtete, Bürger oder Austauschstudent*in. Wir kennen derzeit mindestens 3000 Personen, deren “Kimlics” nun abgelaufen sind. Es gibt keine offiziellen Informationen oder Dokumente zur Aussetzung. Die IDs sind einfach nicht mehr gültig. Wir haben seit gestern versucht, mehr darüber herauszufinden.


Die Gruppe aus dem Internierungslager in Ankara ist zunehmend nervös, da der Bus sehr langsam fährt und sie mittlerweile nicht mehr daran glauben, tatsächlich zurück zu ihrem vorherigem Wohnort gebracht zu werden. 


Wie angekündigt wurde die Gruppe aus dem Abschiebegefängnis in Izmir heute freigelassen, zunächst wurden sie zur Busstation in Izmir gebracht, dann jedoch nach Manisa transportiert und dort ausgesetzt. 


Mittlerweile ist das Quarantäne-Camp in Malatya vollständig geleert worden, im Osmaniye-Camp werden weiterhin einige Menschen festgehalten. 


Unser kürzlich implementiertes System, die Nummern von größeren NGOs wie ASAM zu verteilen, sodass die Menschen dort direkt anrufen können, während wir sie ebenfalls unter Druck setzen, scheint nicht mehr zu funktionieren. Während im Laufe der vergangenen  Woche viele Gruppen auf diese Weise Hilfe  bekommen konnten, wurden die NGOs seit dem Wochenende kaum mehr aktiv; entweder ignorierten sie die Anrufe, verwiesen an die Polizei oder verweigerten die Hilfe. Dadurch blieben viele Menschen hilflos auf den Straßen zurück. Häufig wurden sie sogar in andere Internierungslager gebracht, wenn wir oder unsere lokalen Partner sie nicht selbst erreichen und versorgen konnten. Ein Großteil der Menschen wird noch immer willkürlich durch die Gegend transportiert, ohne weder zu wissen wohin, noch für wie lange. 

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