Press Release

Aktuelle Entwicklungen an den Grenzen der Balkanroute

Josoor beobachtet die zunehmende Gewalt gegen und unmenschliche Behandlung von Geflüchteten auf der Balkanroute

Published on:
May 11, 2020

Illegalen Handlungen von staatlichen Behörden gehören mittlerweile entlang der gesamten Balkanroute zur Normalität. Doch die neuen Ausmaße sind, genauso wie das „geheime Budget“, welches Griechenland dem Ministerium für Migration und Asyl zur Verfügung stellt, sind ein Schock für all jene, die weiterhin an die ursprünglichen Prinzipien der Europäischen Idee glauben. 


Josoor beobachtet die beunruhigenden Entwicklungen im Umgang mit Geflüchteten auf der Balkanroute mit zunehmender Besorgnis. Sowohl das Ausmaß als auch die Häufigkeit illegaler Aktivitäten von Behörden von EU-Mitgliedstaaten und Beitrittskandidaten haben massiv zugenommen. Im Gegensatz zu ähnlichen rechtswidrigen Aktivitäten Maltas und Italiens haben diese nicht weniger kriminellen Verstöße gegen das europäische und internationale Recht in Südosteuropa kaum Beachtung gefunden. In Kooperation mit anderen NGOs und Journalist*innen arbeitet Josoor daran, diese Entwicklungen an die Öffentlichkeit zu bringen. Diese -etwas längere- Pressemitteilung soll einen Überblick über die jüngsten Ereignisse entlang der Balkanroute geben.

Aktivitäten von EU Mitgliedsstaaten

Kroatien

Zusätzlich zur etablierten Praxis, Asylbewerbenden Geld und Telefone abzunehmen, bevor sie illegal zurückgeschoben werden, besprühen die Behörden des EU-Mitgliedstaats Kroatien seit kurzem Menschen mit orangener Farbe, bevor sie sie illegal nach Bosnien-Herzegowina zurückschieben – wohl um sie zu markieren. Zwei solcher Fälle (jeweils eine Gruppe) wurden am 2. und 6. Mai aufgezeichnet [1]. 

Griechenland

Griechische Behörden holen seit kurzem bereits registrierte Geflüchtete aus Lagern, in denen sie auf eine Entscheidung in ihrem Asylverfahren warteten, um sie illegal in die Türkei zu deportieren. 149 solcher Fälle wurden vom Border Violence Monitoring Network (BVMN) [2] bestätigt, Josoor sind etliche weitere bekannt. Solche „Kollektiven Ausweisungen“ von registrierten Geflüchteten finden mittlerweile täglich statt; mehrere Polizeieinheiten sind darin involviert. Da es sich bei dem Gebiet entlang der griechisch- türkischen Grenze um ein Frontex- Einsatzgebiet handelt, muss abgeklärt werden, inwieweit Frontex- Truppen in die Pushbacks involviert sind. Griechenland setzt bei seinen Pushbacks außerdem immer wieder Menschen auf einer Insel im Fluss Evros aus. So wie mittlerweile überall üblich werden ihnen auch in diesem Fall zuvor all ihre Habseligkeiten abgenommen. Die Beamten lassen sie ohne Wasser, Essen oder Telefon auf der Insel zurück. Wir haben Grund zu der Annahme, dass mindestens ein pakistanischer Minderjähriger beim Versuch, am 5. April von dieser Insel aus in die Türkei zu schwimmen, ertrunken ist. Zwei weitere Personen werden seither ebenfalls vermisst. Täglich werden Menschen von Mazedonien nach Griechenland zurückgeschoben. Obwohl derzeit viele Einsatzkräfte in Griechenland stationiert sind und die EU ein großes Budget zur „Grenz- sicherung“ bereitgestellt hat, ist an der Nordgrenze Griechenlands keine Polizei anwesend. Diese Tatsache legt nahe, dass Kettenabschiebungen zumindest toleriert, wenn nicht sogar koordiniert werden. Auch auf See setzen griechische Schiffe die illegalen Pushbacks fort [3]. Asylsuchende, die dennoch auf griechischen Inseln ankommen, müssen oft für eine zweiwöchige Quarantäne (einige viel länger) an dem Ort bleiben, an dem sie gelandet sind - ohne Unterkunft oder Versorgung [4]. Mehrere Gruppen, die nachweislich auf den griechischen Inseln gelandet sind, sind danach einfach „verschwunden“, ihre Landungen wurden nicht offiziell registriert. Die griechischen Behörden setzten außerdem Einheimische unter Druck, über diese Landungen zu schweigen [5]. Am Freitag, den 8. Mai, verabschiedete die Regierung ein neues „Anti- Migrationsgesetz“ [6]. Eine der alarmierenden Neuerungen darin ist ein „geheimes Budget“ für die Asyl- & Migrationsbehörde. Es ist naheliegend, dass dieses für illegale Pushbacks verwendet werden wird.

Italien

Italien schiebt Asylsuchende per Fähre nach Griechenland ab – eine Fähre pro Woche nach Patras [7]. 

Bulgarien, Slowenien, Rumänien

Die schon seit einiger Zeit üblichen [8] Pushback-Praktiken wurden von Slowenien seither weiter fortgeführt. Josoor wurde kürzlich von einem Geflüchteten nach dessen Ankunft in der Türkei nach insgesamt 29 Pushbacks kontaktiert. Er war fünf Mal aus Slowenien zurückgeschoben worden, bevor er durch Kroatien, Serbien, Mazedonien und Griechenland bis in die Türkei abgeschoben wurde. Rumänien schiebt weiterhin Asylsuchende auf die gleiche Weise nach Serbien zurück. Josoor hat in der vergangenen Woche etwa 20 Pushback-Fälle von Bulgarien in die Türkei registriert.



EU Beitrittskandidaten

Serbien

Ebenso wie Griechenland hat Serbien kürzlich damit begonnen, bereits registrierte Asylwerbende während dem laufenden Verfahren aus Lagern zu holen und sie abzuschieben [9]. 

Mazedonien & Bosnien und Herzegowina

Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina schieben Asylsuchende an ihren Grenzen ebenso ab – jeweils nach Griechenland und Serbien (z.B. die verschiedenen Berichte des BVMN [10]). 


Internationale NGOs

Gleichzeitig zu diesen alarmierenden Entwicklungen haben fast alle großen internationalen NGOs ihre Arbeit in der Türkei praktiscch eingestellt, kleine Initiativen und unabhängige Freiwillige müssen immer mehr Aufgaben übernehmen. In mehreren Fällen haben große internationale NGOs ihre Arbeit einfach an diese delegiert. NGOs in Griechenland berichten ähnliches [11]. 


Über Josoor

Josoor International Solidarity, ein in Österreich registrierter Verein, ist seit März in der Türkei aktiv. Josoor konzentrierte sich zunächst auf die Organisation von Nothilfe für Geflüchtete an der griechischen Grenze, bald auch auf Monitoring und Berichterstattung über die Entwicklungen an der Evros-Grenze und in der Türkei. Neben der Koordinierung von langfristiger humanitärer Hilfe für Geflüchtete in der Türkei besteht Josoor’s Hauptaufgabe derzeit in der Unterstützung der Opfer von Pushbacks an der Grenze zu Griechenland. Aufgrund der steigenden Zahl solcher Pushback-Fälle beobachtet Josoor mit zunehmender Besorgnis in Kooperation mit weiteren NGOs, die in anderen Ländern auf der Balkanroute tätig sind, die Situation. 

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[1] Kroatien besprüht Menschen mit Farbe vor Pushbacks: - No Name Kitchen Belgrade

[2] Kollektive Ausweisungen aus griechischen Lagern - BVMN

[3] Greek Sea Push-backs - Alarmphone

[4] Arrivals stuck at the beach - Mare Liberum

[5] Arrivals “disappearing” - Aegean Boat Report

[6] Das am 8. Mai von Griechenland verabschiedete Gesetz

[7] Push-back from Italy to Patras – BVMN

[8] Push-backs from Slovenia – Amnesty International

[9] Serbia deporting asylum seekers from Camps – BVMN

[10] All reports by BVMN can be found here

[11] Khora Athens reports about UNHCR conduct